Fellow-Klasse 2010/11Prof. Dr. Thomas Klein
Arbeitsvorhaben am Marsilius-Kolleg
Soziale Unterschiede des Körpergewichts und ihr Beitrag zu den sozialen Unterschieden der Gesundheit im mittleren und höheren Lebensalter
Das geplante Arbeitsvorhaben knüpft an das Marsilius-Projekt "Perspectives of Ageing in the Process of Social and Cultural Change" an. Zentrales Erkenntnisinteresse in diesem Projekt ist die Identifikation und Erklärung der individuellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen gesunden Alterns. Zwei Zielsetzungen kommt in diesem seit eineinhalb Jahren laufenden Projekt besondere Bedeutung zu:
(1) die Zusammenführung lebenswissenschaftlicher, geistes- und kulturwissenschaftlicher sowie sozialwissenschaftlicher Perspektiven in Bezug auf Alter, Gesundheit und den Determinanten der Gesundheit, sowie (2) die Analyse der Wechselwirkungen
zwischen individuellen, verhaltens- und verhältnisbezogenen Gesundheitsdeterminanten. Im Rahmen des von mir geleiteten Teilprojekts "Soziale Determinanten des Gesundheitsverhaltens und der Gesundheit im mittleren und höheren Lebensalter" geht es speziell um die Frage, in welcher Weise soziale Faktoren das Gesundheitsverhalten und die Gesundheit im mittleren und höheren Lebensalter beeinflussen und wie sich diese Einflüsse mit zunehmendem Alter verändern. So ist beispielsweise bekannt, dass Schichtunterschiede der Gesundheit und Mortalität im höheren Lebensalter geringer werden, wofür verschiedene Erklärungen in Betracht kommen.
Das geplante Arbeitsvorhaben steht im Kontext des genannten Teilprojekts und soll die Rolle des Körpergewichts (in Relation zur Körpergröße) bei der Vermittlung dieser Zusammenhänge untersuchen. In Bezug auf den angesprochenen Zusammenhang von Sozialschicht und Gesundheit stellt sich z. B. die Frage, inwieweit die Schichtunterschiede der Gesundheit durch die erheblichen Unterschiede des BMI (Body Mass Index) zwischen den Sozialschichten vermittelt werden und inwieweit Veränderungen der Schichtunterschiede der Gesundheit mit zunehmendem Alter damit zusammenhängen, dass der durchschnittliche BMI bis zur siebten Lebensdekade kontinuierlich ansteigt.
Ein besonderes Interesse an einer Analyse des Körpergewichts ist vor allem darin begründet, dass der BMI ein bedeutsamer Einflussfaktor bei der Genese verschiedener Erkrankungen (z. B. Herzkreislauferkrankungen oder Alzheimerdemenz) darstellt, wobei nicht nur Übergewicht, sondern auch Untergewicht thematisiert werden soll. Der Alterseinfluss ist jedoch dabei noch unzureichend erforscht, und es lassen sich verschiedene Hypothesen aufstellen: Neben dem Einfluss des aktuellen Körpergewichts auf die Gesundheit ist der Hypothese nachzugehen, dass starke Abweichungen des Körpergewichts vom Durchschnitt nicht von heute auf
morgen, sondern erst mit zunehmender Dauer auf Gesundheit und Mortalität Einfluss nehmen (Kumulation). Verschiedene Einzelergebnisse, wonach vor allem wiederholte Gewichtszu und -abnahme gesundheitsabträglich ist, lassen allerdings vermuten, dass womöglich auch ein Stück weit eine Adaption an ein vom Gesundheitsideal abweichendes Körpergewicht stattfindet (Adaption). In Betracht kommt schließlich auch eine umgekehrte Kausalität, soweit gesundheitliche Beeinträchtigungen die körperliche Aktivität reduzieren und dadurch das Gewicht erhöhen (Selektion).
Das besondere Interesse an einer Analyse des Körpergewichts ist zudem darin begründet, dass es durch individuelles Verhalten (Ernährungsverhalten und körperliche Aktivität) stark beeinflussbar ist, wenngleich sowohl das Ernährungsverhalten als auch die körperliche Aktivität große soziale Unterschiede aufweisen und biologisch-medizinische Faktoren eine ebenfalls erhebliche Rolle spielen und womöglich mit sozialen Unterschieden zusammenwirken. Zu den bekannten sozialen Unterschieden des BMI zählen neben Schichtunterschieden insbesondere Unterschiede nach dem Familienstand und dem Partnerschaftsstatus, wobei Personen mit niedrigerem sozioökonomischen Status und Verheiratete einen im Durchschnitt höheren BMI aufweisen. Eine aktuelle Analyse (vgl. The New England Journal of Medicine 2007, S. 370-9) zeigt außerdem, dass Übergewicht sozial 'ansteckend' ist.
Die individuelle Beeinflussbarkeit des Körpergewichts rückt auch die Frage nach den sozialen Einflüssen auf den BMI ins Blickfeld. Aus soziologischer Perspektive kommen für die sozialen Unterschiede des BMI verschiedene Erklärungszusammenhänge in Betracht:
(1) Interpretiert man das Körpergewicht als Ausdruck des Gesundheitsverhaltens, lässt sich Gesundheit als ein Aspekt des Humankapitals begreifen, in den zu investieren um so mehr lohnt, je höher das sonstige Humankapital und das Einkommen. Das ist möglicherweise eine Erklärung für die Schichtunterschiede des BMI. Sozialgruppenspezifische Unterschiede des BMI können aber auch in einer unterschiedlichen Ausstattung mit Ressourcen begründet sein, weil ein Mehr an materiellen und immateriellen Ressourcen die Restriktionen einer gesunden Ernährung und der Ausübung sportlicher Aktivität reduziert. Während die soziale Schichtzugehörigkeit in diesem Zusammenhang vor allem über die Ausstattung an materiellen Ressourcen bestimmt, sind Partnerschaftsstatus und Familienstand stärker mit immateriellen Ressourcen wie der sozialen Unterstützung verknüpft.
(2) Jedoch lassen sich soziale Unterschiede in Bezug auf das Ernährungsverhalten und die körperliche Aktivität nicht nur als Ausdruck sozialgruppenspezisch unterschiedlicher Präferenzen und Möglichkeiten eines gesunden Lebens interpretieren, da gesundheitsrelevante Verhaltensweisen häufig nicht gesundheitsmotiviert sind. Sportliche (In-) Aktivität und Essverhalten sind elementarer Bestandteil des generellen Lebensstils; sie sind von vielfältigen Motiven geprägt, und selbst wenn dabei das Körpergewicht beeinflusst werden soll, kann dies z. B. auch darin begründet sein, dass Personen ihre Attraktivität auf dem Partnermarkt steigern wollen.
(3) Schließlich könnten Schichtunterschiede und Familienstandsunterschiede des BMI auch durch direkte oder indirekte Selektionsprozesse zustande kommen. Im ersten Fall beeinflusst der BMI soziale Auf- und Abstiegsprozesse sowie die Gründung und Auflösung von Partnerschaften und Familien. Im zweiten Fall entscheiden Drittvariablen sowohl über den BMI als auch über die Schichtzugehörigkeit und über den Partnerschaftsstatus. Als diesbezügliche Drittvariablen sind genetische Veranlagung, Persönlichkeitsmerkmale und soziale Faktoren in Betracht zu ziehen.
Der Wunsch, die skizzierten Fragestellungen disziplinenübergreifend zu diskutieren, ist darin begründet, dass Gesundheit aus einem Zusammenwirken biologisch-medizinischer und sozialer Faktoren resultiert, wobei sich speziell das Körpergewicht weder alleine durch biologischmedizinische Faktoren erklären lässt, noch ausschließlich durch soziale Faktoren, die im Besonderen das Ernährungsverhalten und die körperliche Aktivität steuern.
FORSCHUNGSGEBIETE
- Methoden der empirischen Sozialforschung und Sozialstrukturanalyse
- Familien- und Bevölkerungssoziologie
- Gesundheitssoziologie
- Sportsoziologie
Lebenslauf
Akademische Grade
- 1980 Diploma in Social Science (Diplom-Sozialwirt), University of Erlangen-Nürnberg
- 1986 PhD in Economics, Frankfurt University
- 1990 Habilitation Sociology, Karlsruhe University (Offers of chairs at Universities of Kassel, Heidelberg, Konstanz, Bern, and Aachen)
Wissenschaftliche Karriere
- Seit 1994 W3-Professor für Methoden der empirischen Sozialforschung und Sozialstrukturanalyse, Heidelberg University
- 1991 - 1994 Hochschuldozent (C 2) for Methods of Empirical Research, University of Konstanz
- 1988 - 1991 University of Karlsruhe
- 1986 - 1988 LM-University, München and Institut für Medizinische Informatik und Systemforschung (Medis), bei München
- 1983 - 1986 University of Frankfurt
- 1981 - 1982 Federal Institute for Population Research, Wiesbaden
Ausgewählte Publikationen
Tabelle
Klein, Thomas; Unger, Rainer: Einkommen und Mortalität im Lebenslauf, in: Wendt, Claus; Wolf, Christof (Hg.): Soziologie der Gesundheit, Sonderheft 46 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 2006: 144-157. |
Klein, Thomas: Determinanten der Sportaktivität und der Sportart im Lebenslauf, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 2009: 1-32. |
Brockmann, Hilke; Klein, Thomas: Love and Death in Germany: The Marital Biography and its Effect on Mortality, in: Journal of Marriage and the Family, 2004: 567-581. |
Klein, Thomas; Unger, Rainer: Aktive Lebenserwartung in Deutschland und in den USA. Kohortenbezogene Analysen auf Basis des Sozio-ökonomischen Panel und der Panel Study of Income Dynamics, in: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 2002: 528-539. |
Klein, Thomas (2011). „Durch Dick und Dünn.“ Ergebnisse des Partnermarktsurvey zum Einfluss von Partnerschaft und Partnermarkt auf das Körpergewicht. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 459-479. |
Huy, Christiana; Becker, Simone; Gomolinsky, Uwe; Klein, Thomas; Thiel, Ansgar: Health, Medical Risk Factors, and Bicycle Use in Everyday Life in the Over-50 Population, in: Journal of Aging and Physical Activity, 2008: 454-464. |
Klein, Thomas: Zur Abhängigkeit zwischen konkurrierenden Mortalitätsrisiken, in: Allgemeines Statistisches Archiv, 1988: 248-258. |
Klein, Thomas; Salaske, Ingeborg: Determinanten des Heimeintritts im Alter und Chancen seiner Vermeidung. Eine Längsschnittuntersuchung für die Bundesrepublik Deutschland, in: Zeitschrift für Gerontologie, 1994: 442-455. |
Klein, Thomas: Die Geburt von Kindern in paarbezogener Perspektive, in: Zeitschrift für Soziologie, 2003: 506-527 - ausgezeichnet mit dem 3. Preis der Fritz Thyssen-Stiftung für sozialwissenschaftliche Aufsätze des Jahres 2003. |
Klein, Thomas; Wunder, Edgar: Regionale Disparitäten und Konfessionswechsel als Ursache konfessioneller Homogamie, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1996:96-125. |
Klein, Thomas: Sozialstrukturanalyse. Eine Einführung, Rowohlts Taschenbuch Verlag GmbH (rowohlts enzyklopädie), Reinbek bei Hamburg 2005. |
KONTAKT
Prof. Dr. Thomas klein
Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaft
Max-Weber-Institut für Soziologie
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
E-Mail: thomas.klein@mwi.uni-heidelberg.de