Handbuch Sterben und Menschenwürde

(Verlag De Gruyter Berlin, Sommer 2012)

Das Sterben gehört in unserer modernen, diesseitsgewandten Lebenswelt zu den wohl erfolgreichsten aus dem Bewusstsein des Alltags gedrängten Phänomenen menschlicher Existenz. Dieser Befund ist so erklärlich wie befremdlich zugleich. Die Abwesenheit von unmittelbarer Kriegs- oder Seuchenbedrohung, eine Massenkultur, die sich in nahezu all ihren Äußerungen lebenszugewandt geriert, Jugendkult trotz alternder Gesellschaft, „Ableben“, das sich zumindest im urbanen Kontext häufig in der Situation der Hospitalisierung und Institutionalisierung vollzieht, all dies sind erklärliche Indikatoren für die gesuchte oder erlebte Bewusstseinsferne des Sterbens. Erstaunlich ist dieses Phänomen gleichwohl, denn paradoxerweise ist der wahrnehmbare Tod auch allgegenwärtig, wenn wir die Zeitung aufschlagen, den Fernseher anschalten oder uns im Internet bewegen. Zu sehen aber ist nahezu immer der Tod als Ergebnis des Sterbeprozesses; das Sterben selbst wird so selten visualisiert wie es bewusst von uns allen, die wir von ihm betroffen sind, imaginiert wird. 

 

Vor diesem Hintergrund soll das Handbuchprojekt „Sterben in der Modernen Gesellschaft“ eine Bestandsaufnahme des Sterbens in unserem Zeitalter leisten und verschiedene Wissenskulturen interdisziplinär einbeziehen. Die Bereitschaft, Sterben als multidimensionales Phänomen wahrzunehmen und anzunehmen ist hierzu eine entscheidende Grundvoraussetzung des Projekts. Zur Erörterung der Frage nach dem biologischen Wie des Sterbens sind Ärzte und Biologen aufgefordert; Philosophen und Theologen können zur geistigen und spirituellen Situation des Sterbens in unserer Gesellschaft beitragen, Ethnologen und Psychologen sind gefordert, über rezente Sterbeängste und Sterberituale aufzuklären, Literatur- und Kunstwissenschaftler über die Präsenz und Gestaltung des Sterbens in den Gegenständen ihrer Forschung darzulegen, Soziologen und Pflegewissenschaftler über die Orte des Sterbens in unserer Gesellschaft zu berichten, Juristen über Rahmenbedingungen zu informieren. Erst die Integration dieser Perspektiven kann einen umfassenden Blick auf das Sterben in unserer Gesellschaft ermöglichen und weitere Diskussionen auch mit dem Ziel von Veränderungen anstoßen.

 

Das Handbuchprojekt stellt sich dieser Aufgabe durch einen Aufbau quasi von innen nach außen, von der begrifflichen Vorklärung und Aufklärung über die Fokussierung auf den Sterbenden zu den Formen der Anteilnahme in Nähebeziehungen zu Sterbenden bis hin zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Reflexionsformen, die ihrerseits auf die Sterbeprozesse und Sterbeerlebnisse zurückwirken.

 

Die Vorbereitung und Planung des Handbuchs erfolgte im Rahmen des Projekts „Menschenwürde“ des Interdisziplinären Forums für Biomedizin und Kulturwissenschaften am Marsilius-Kolleg der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

Seitenbearbeiter: Eva Schmitt
Letzte Änderung: 15.03.2013
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