Bereichsbild

Arbeitsvorhaben Prof. Dr. Johannes Schröder

Kognitive Reserve und ihre neurobiologischen Vorbedingungen

 

Das Marsilius-Projekt "Perspectives of Ageing in the Process of Social and Cultural Change" hat die für kognitive Leistungen und ihren Erhalt wichtigen Risiko- und protektiven Faktoren auf der individuellen Ebene sowie Maßnahmen zur besseren Integration älterer Arbeitnehmer zum Thema. Zwischen den genannten Bereichen bestehen komplexe Wechselwirkungen, indem kognitive Fähigkeiten - und ihr Erhalt - zweifellos eine Vorbedingung der beruflichen Integration sind, wie Letztere auch auf individueller Ebene die kognitive Leistungsfähigkeit fördert. Die damit angesprochenen Interaktionen korrespondieren mit dem Konzept der kognitiven Reserve und lassen sich anhand des in der Interdisziplinären Längsschnittstudie des Erwachsenenalters (ILSE) erhobenen Proben- und Datenmaterials überprüfen. Letztere umfasst zwei repräsentative 1930-32 bzw. 1950-52 geborene Jahrgangskohorten (n = 1000), die von 1993 bis heute dreimal untersucht wurden.


Neurobiologische Auffälligkeiten konnten im Projekt bislang noch nicht ausreichend berücksichtigt werden. In diesem Kontext sind genetische Polymorphismen und cerebrale Veränderungen besonders attraktiv, da sie das kognitive Leistungsniveau unmittelbar von der Kindheit an beeinflussen bzw. im Rahmen erster, noch nicht klinisch manifest werdender neurodegenerativer Veränderungen entstehen.


Beispielhaft sei hier der Catechol-O-methyltransferase Val 158 Met Polymorphismus angeführt, der den Dopaminabbau im frontalen Kortex und damit wichtige neuropsychologische Leistungen - Exekutivfunktionen und psychomotorische Verarbeitungsgeschwindigkeit - beeinflusst. Wie in anderen Bevölkerungsstudien sind deshalb je 25% der ILSE-Probanden durch die Allele, die zu einem besonders raschen bzw. besonders langsamen Dopaminabbau führen, charakterisiert. Querschnittstudien wiesen bei jüngeren Erwachsenen inverse Zusammenhänge zwischen Dopaminabbau und Exekutivfunktionen nach, indem letztere bei Probanden mit langsamen Dopaminabbau - d.h. Trägern der COMT Val/ Val Variante - stärker ausgeprägt sind (Egan et al., 2001, Bruder et al., 2005). Die Bedeutung dieser Befunde für die Altersentwicklung ist weithin offen: einerseits wird vermutet, dass sich die Auswirkungen solcher und ähnlicher genetischer Varianten mit Einsetzen neurodegenerativer Veränderungen im Alter verstärken; alternativ ist zu prüfen, inwieweit lebenslange Praxis derartige diskrete Unterschiede nivellieren kann zumindest solange neurodegenerative Veränderungen noch nicht eingesetzt haben. Diese hypostasierten Effekte würden im ILSE Datenmaterial zu einer höheren Prävalenz und Ausprägung kognitiver Defizite bei den älteren - d.h. 1930 bis 1932 geborenen - Trägern einer COMT Val/ Val Variante führen, bzw. zu einer Angleichung der Leistungsniveaus zwischen den Trägern unterschiedlicher COMT-Varianten über das mittlere Erwachsenenalter bei der noch berufstätigen Jahrgangskohorte 1950/52.


Vergleichbare Zusammenhänge können für andere Polymorphismen aber auch zerebrale Veränderungen formuliert werden. Am bekanntesten dürfte Polymorphismus für das Apolipoprotein E sein, von dem das e4 Allel nicht nur gehäuft bei Alzheimer Demenz vorliegt, sondern auch mit typischen zerebralen Veränderungen korreliert (Thoman et al., i. Druck). Letztere können schon in den klinischen Vorstadien der Erkrankung - der leichten kognitiven Beeinträchtigung nachgewiesen werden und sind eng mit den entscheidenden neuropsychologischen Veränderungen von Gedächtnis- und Exekutivfunktionen assoziiert (Thomann et al., 2008; Schönknecht et al., 2005; Pantel et al., 2003). Allerdings sind auch diese Zusammenhänge nicht statisch, sondern dürften ebenfalls i. S. der kognitiven Reserve moduliert werden. Hier ist zu erwarten, dass bei Probanden mit ausgeprägter Reserve - hoher Schulbildung und hohem kognitiven Aktivitätsniveau - neurodegenerative Veränderungen länger kompensiert bleiben im Vergleich zu Probanden mit geringer Reservekapazität. Auch diese Hypothese kann im Rahmen der ILSE anhand der aufgenommenen Magnetresonanz-tomographien (MRT) des Gehirns unmittelbar bearbeitet werden. Hierzu besteht eine enge Kooperation mit Herrn Prof. Dr. M. Essig aus der Abt. für Radiologische Diagnostik und Therapie des DKFZ.


Im beantragten zweiten Fellowship möchte ich diese Zusammenhänge zwischen genetischen Polymorphismen bzw. cerebralen Veränderungen und der kognitiven Reserve wie skizziert anhand des Datenmaterials der ILSE beispielhaft untersuchen. Auch in methodischer Hinsicht können sich die vorgeschlagenen Untersuchungen u.a. auf die oben zitierten einschlägigen Vorstudien stützen. Das Marsilius-Projekt "Perspectives of Ageing in the Process of Social and Cultural Change" würde damit sinnvoll ergänzt. Ferner möchte ich während des zweiten Fellowship die Interaktion zwischen den am Projekt beteiligten Arbeitsgruppen nicht zuletzt in Vorbereitung der Summer School intensivieren.


Literatur


Bruder G. E., Keilp J. G., Haiyan X., Shikhman M., Schori E., Gorman J. M., Gilliam T. C. (2005) Catechol-O-Methyltransferase (COMT) Genotypes and Working Memory: Associations with Differing Cognitive Operations. Biological Psychiatry 58: 901-907.


Egan M. F., Goldberg T. E., Kolachana B. S., Callicott J. H., Mazzanti C. M., Straub R. E., Goldman D., Weinberger D. R. (2001) Effect of COMT Val108/158 Met genotype on frontal lobe function and risk for schizophrenia. PNAS 98: 6917-6922.


Hempel A., Giesel F., Garcia Caraballo N., Amann M., Meyer H., Wüstenberg T., Essig M., Schröder J. (2004) Plasticity of cortical activation related to working memory during training. Am J Psychiatr 161: 745-747.


Pantel J., Kratz B., Essig M., Schröder J. (2003) Parahippocampal Volume Deficits in Subject with Aging-Associated Cognitive Decline. Am J Psychiatry 160:379-382.


Schönknecht P., Pantel J., Kruse A., Schröder J. (2005) Prevalence and natural course of aging-associated cognitive decline in a population based sample of "young-old" subjects. Am J Psychiatry 172: 2071-77.


Thomann PA, Kaiser E, Schönknecht P, Pantel J, Essig M, Schröder J Association of CSF total tau and phospho-tau (181) with cerebral atrophy in mild cognitive impairment and Alzheimer's disease. J Psychiatr Neuroscience (im Druck)


Thomann P.A., Toro P., Dos Santos V., Essig M., Schröder J. (2008) Clock drawing performance and brain morphology in mild cognitive impairment and Alzheimer's disease. Brain and Cognition 97(1): 88-93.
 

Seitenbearbeiter: Geschäftsstelle
Letzte Änderung: 13.07.2011
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