Arbeitsvorhaben Prof. Dr. Wolfgang Eckart
Altern und Tod in der Modernen Industriegesellschaft
Sterben in der moderenen Gesellschaft am Beginn des 21. Jahrhunderts: Begriff und Wirklichkeit
Das Sterben gehört in unserer modernen, diesseitsgewandten Lebenswelt zu den am wohl erfolgreichsten aus dem Bewusstsein des Alltags gedrängten Phänomenen menschlicher Existenz. Dieser Befund ist so erklärlich wie er zugleich erstaunt. Die Abwesenheit von unmittelbarer Kriegs- oder Seuchenbedrohung, eine Massenkultur, die sich in nahezu all ihren Äußerungen lebensgewandt geriert, Jugendkult trotz alternder Gesellschaft, "Ableben", das sich zumindest im urbanene Kontext überwiegend in der Situation der Hospitalisierung vollzieht, all dies sind erklärliche Indikatoren für die gesuchte oder erlebte Bewusstseinsferne des Sterbens. Erstaunlich ist dieses Phänomen gleichwohl, denn paradoxerweise ist der wahrnehmbare Tod auch allgegenwärtig, wenn wir die Zeitung aufschlagen, den Fernseher anschalten oder uns im Internet bewegen. Zu sehen ist aber nahezu immer er, das Sterben selbst wird so selten visualisiert wie es bewusst von uns allen, die wir betroffen sind, imaginiert wird.
Dies war nicht immer so, denn noch bis weit ins 19. Jahrhundert existierte ein lebendiges ars moriendi, eine Kunst des Sterbens, die mitten im Leben erlernt wurde. Leben zu lernen, hieß damals zugleich , das Sterben zu lernen, um hier den Titel einer Ansprache des amtierenden Bundespräsidenten vom 8. Oktober 2005 ("Sterben lernen heißt leben lernen") umzukehren. Vor diesem Hintergrund soll in einem interdisziplinären und verschiedene Wissenskulturen einbeziehenden Diskurs ein Projekt zur Bestandsaufnahme des Sterbens in unserer Gesellschaft angestoßen, erörtert und vorbereitet werden. Die Bereitschaft, Sterben als multidimensionales, prozessuales Phänomen wahr- und anzunehmen, ist hierzu eine entscheidende Grundvoraussetzung des Diskurses. Zur Erörterung der Frage nach dem biologischen Wie des Sterbens sind Ärzte und Biologen aufgefordert - wir wissen vieles über Apoptose, aber es existiert derzeit noch kein Handbuch der humane Pathophysiologie des Sterbens, Philosophen und Theologen können zur geistigen und spirituellen Situation des Sterbens in unserer Gesellschaft beitragen, Ethnologen und Psychologen sind gefordert, über rezente Sterbeängste und Sterberituale aufzuklären, Literatur- und Kulturwissenschaftler über die Präsenz und Gestaltung des Sterbens in den Gegenständen ihrer Forschung, Soziologen und Pflegewissenschaftler über die Orte des Sterbens in unserer Gesellschaft.