Bereichsbild

Arbeitsvorhaben Prof. Dr. Hubert J. Bardenheuer

Heidelberger Konzept einer multiprofessionellen, integrierten ambulanten und stationären Palliativmedizin

 

Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO 2002) umschreibt Palliativmedizin die Behandlung von Patienten mit einer nicht heilbaren, progredienten und weit fortgeschrittenen Erkrankung und begrenzter Lebenserwartung, für die das Hauptziel der Behandlung die Lebensqualität ist. Die Palliativmedizin orientiert sich an einem ganzheitlichen Ansatz, der die physischen, psychischen, sozialen und spirituellen Bedürfnisse von Patienten, deren Angehörigen und des Behandlungsteams beachtet und integriert. Im Sinne eines Therapiezielwechsels ist der Patient nicht mehr Objekt eines kurativen Behandlungsansatzes, sondern seine Subjektivität und subjektive Befindlichkeit stehen im Mittelpunkt der palliativen Therapie.

Während die philosophisch-theologische Auseinandersetzung mit dem Prozess des Sterbens traditionell in der Gesellschaft verankert ist, sind wissenschaftliche Studien zur Pathophysiologie der Körperfunktionen und die Veränderungen biochemischer Prozesse am Lebensende nahezu tabuisiert. Das Wissen um den körperlichen Sterbeprozess selbst würde es jedoch dem Palliativmediziner ermöglichen, seine ethisch verantwortlichen Therapieentscheidungen am Lebensende im Sinne einer zeitgemäßen "Ars moriendi" auf eine wissenschaftlich fundierte Basis zu stellen, um dadurch den ärztlichen Handlungsspielraum in der terminalen Phase zum Wohle
des Patienten zu erweitern. Dies könnte einerseits zu einer Verbesserung der medizinischen Behandlung von Schmerzen und Symptomen führen, andererseits auch den in der Palliativmedizin bis dato kontrovers diskutierten Einsatz der "terminalen (palliativen) Sedierung" auf eine wissenschaftlich fundierte Basis stellen, um sich aufgrund einer wissensbasierten kritischen Indikationsstellung grundsätzlich von der aktiven Sterbehilfe abzugrenzen.

Nach Beratung durch die Ethikkommission der Medizinischen Fakultät soll bei palliativen Patienten mit Tumorerkrankung der Zusammenhang zwischen der Tumorentität und Tumorprogredienz und dem tumorspezifi-schen körperlichen Funktionsverlust (Fatigue) charakterisiert werden. In der präterminalen und terminalen Lebensphase soll die Dynamik kardio-pulmonaler Funktionsparameter mit den Veränderungen der tumorspezifischen Marker und den Indikatoren der zellulären Desintegration wie den Veränderungen im Säure-Basen-Haushalt und der gesteigerten Freisetzung von Abbauprodukten des zellulären Energiestoffwechsels (Laktat, Adenosin) korreliert werden. Die Veränderungen der zerebralen Funktionen sollen mit Hilfe der regionalen zerebralen Sauerstoffsättigung (rsO2) und der Bestimmung der Neuronen spezifischen Enolase (NSE) und des Gliamarkers S-100 nachgewiesen werden. Die Bedeutung des programmierten Zelltodes (Apoptose) in der präterminalen Phase soll durch die Analyse von Entzündungsmediatoren und Adhäsionsmolekülen im zirkulierenden Plasma sowie in isolierten Zellen wie neutrophilen Granulozyten und Lymphozyten im Detail charakterisiert werden.

In einem zweiten Projekt soll der Einfluss von psychotherapeutischen Therapieinterventionen auf die Lebens-qualität von Palliativpatienten untersucht werden. Psychotherapeutische Ansätze bei Patienten in palliativer Situation umfassen sowohl supportive als auch behaviorale Interventionen. Studien zur Religiosität und Spiritualität bei lebensbedrohlichen Erkrankungen zeigen positive Ergebnisse bei der Verarbeitung von Tumorerkrankungen. Spirituelles Wohlbefinden kann sich protektiv gegen Depressionen, Hoffnungslosigkeit und dem Wunsch nach vorzeitigem Sterben auswirken.

 

Musiktherapie wird als künstlerische Form der Psychoonkologie zunehmend bei lebensbedrohlich erkrankten Menschen eingesetzt, wobei die Indikationen und Ziele von Musiktherapie definiert wurden.

 

Indikation für Palliativbereich


Physische Kriterien:


Schmerzsymptomatik und Symptomkontrolle

 

Musiktherapeutische Ziele:


- Förderung der Entspannung
- Unterstützung der Medizinischen Schmerztherapie
- Reduktion von Übelkeit und Schwindel

 

Psychosoziale Kriterien:


Ängste, Depressionen, Probleme mit Compliance, mit Krankheitsbewältigung und familiären oder stationären Umfeld

 

Musiktherapeutische Ziele:


- Reduzierung von Ängsten und Depressionen
- Steigerung des Selbstwertgefühls
- Förderung der Kommunikation unter Patienten bzw. mit der Familie Spirituelle Kriterien: Erleben von Hoffnung, Trost und Spiritualität

 

Die musiktherapeutische Behandlung wird abhängig vom Erkrankungsstadium der Patienten und von den Zielen der Palliativbetreuung angeboten. Dabei kann sie rezeptiv (Patienten hören Musik) und aktiv (Patient und Therapeut musizieren bzw. singen gemeinsam) eingesetzt werden. Je nach Erkrankungsstadium des Patienten besteht die Möglichkeit, über die Erfahrungen während des Musikhörens oder Musizierens zu sprechen. Der Musiktherapeut arbeitet in der Regel am Bett des Patienten.
Vor allem Saiten- und Klanginstrumente kommen zur Anwendung: Klangschale, Sansula, Kantele, Klangstäbe, Körpermonochord und Gitarre. Auch die Stimme wird eingesetzt. Ziel des Projekts ist die Implementierung und kritische Evaluation eines musiktherapeutischen Behandlungsangebotes für Patienten in palliativer Situation auf der Grundlage des Behandlungsmanuals für Tumorpatienten (Wormit et al. 2007).


Folgende Fragestellungen werden untersucht:


1. Lassen sich Belastungskriterien (Lebensqualität, Schmerzen, psychologische Symptome) bei Patienten in palliativer Situation charakterisieren?


2. Welche Bedeutung hat Musik basierte Psychotherapie für Patienten im fortgeschrittenen Erkrankungsstadium?


3. Kann durch ein musiktherapeutisches Angebot ein Therapiezielwechsel von der kurativen Therapie zur palliativen Betreuung unterstützt werden?


4. Welchen Einfluss hat die Musiktherapie für die Lebensqualität von Patienten in palliativer präfinaler Situation?


5. Kann die Lebensqualität der nach Hause entlassenen Patienten durch eine weiterführende musiktherapeutische Intervention aufrechterhalten werden?

 

Zur Überprüfung der ersten Fragestellung werden alle neu aufgenommen Patienten gemäß ihrem Einverständnis eingeschlossen. Hierfür wird sich an den Standardmethoden aus der Hospiz- und Palliativerfassung (Neuwöhner 2007) und dem minimalen Dokumentations-system für die Palliativmedizin (Radbruch et al. 2000) orientiert. Zur Erfassung der Lebensqualität wird die Kurzform des Fragebogens zum Gesundheitszustand (SF-12) nach Bullinger & Kirchberger (1998) eingesetzt. Zur Einschätzung der Schmerzen findet die Visuelle Analogskala (VAS) Anwendung (Donner et al. 2001). Die Beurteilung der Palliativbetreuung wird mit dem POS (Bausewein et al. 2005) durchgeführt. Die zweite Fragestellung wird mit dem Fragebogen zum Umgang mit Musik (FUM) nach Busch (2005) untersucht. Dieser erfasst die musikalische Sozialisation der Patienten und deren emotionales Erleben von Musik. Zur Untersuchung der Fragestellung drei bis fünf werden die Patienten eingeschlossen, die wieder nach Hause entlassen werden und ambulant musiktherapeutisch weiter betreut werden können. Zur Messung des Verlaufs der musiktherapeutischen Intervention kommen der SF-12 und der POS zur Anwendung. Für die Auswertung der Fragestellungen werden parametrische und nonparametrische Tests, Prä-Post-Vergleiche sowie die Methode der "Klinischen Signifikanz" eingesetzt.

Seitenbearbeiter: Geschäftsstelle
Letzte Änderung: 13.07.2011
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