Arbeitsvorhaben Prof. Dr. Michael Anderheiden

Menschenwürde am Lebensende

 

Innerhalb des Projekts "Handbuch Menschewürdig Sterben" werde ich den juristischen Teil redaktionell betreuen und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Gesamtredaktion übernehmen (müssen). Die rechtswissenschaftliche Diskussion um das menschenwürdige Sterben hat allerdings sehr viele Facetten, die ein Einzelner gar nicht alle selbst bearbeiten kann. Ich werde mich in einigen Beiträgen auf das konzentrieren, wofür ich ausgewiesen bin, also vor allem die verfassungsrechtliche, medizinrechtliche, rechtsphilosophische und teilweise sozialrechtliche Seite des Themas bearbeiten. Damit bleiben viele Fragen, bei denen ich auf Unterstützung aus dem Kollegenkreis angewiesen bin. Solche Fragen betreffen etwa unternehmensrechtliche Bezüge (Unternehmensnachfolge bei lebensvernichtender Erkrankung des Unternehmers), arbeitsrechtliche Bezüge (wie verhalten sich Unternehmen gegenüber sterbenden Mitarbeitern), strafrechtliche und strafvollzugsrechtliche Bezüge (Verhalten gegenüber lebensvernichtend erkrankten Strafgefangenen). Steuer und erbrechtliche Bezüge werden schon lange eingenständig diskutiert.

 

Zum eigenen Ansatz ist auszuführen, dass die für die Rechtswissenschaften zentrale Frage nach dem Menschenwürdebegriff und den daraus zu gewinnenden Ableitungen derzeit wieder diskutiert wird. Für das zu Ende gehende Leben könnten sich die herkömmlichen Menschenwürdebegriffe als problematisch erweisen, weil sie sub specie aeternitatis gefasst sind. Sie lassen damit allenfalls Rückschlüsse auf die Menschenwürde Sterbender zu, gleichgültig, ob sie christlich oder kantisch inspiriert sind (Mitgift- und Vernunftskonzepte). Selbst wenn diese Konzeptionen abgelehnt wurden, wurden als Ersatz im Wesentlichen leistungs- und anerkennungsbezogene Konzepte angeboten (Luhmann). Diese werden dem schwindendem Leistungsvermögen am Lebensende nicht gerecht, weil sie selbst wieder auf einem stetigen oder sich steigernden Leistungsvermögen aufbauen. Dieses Unvermögen der Rechtswissenschaften, einen für das Lebensende adäquaten Menschenwürdebegriff zu formulieren oder aber zumindest aus bestehenden Begriffen tragfähige Abteilungen zu formulieren, geht einher mit der bedrückenden Lebenswirklichkeit in Alten- und Pflegeheimen und einem unzureichenden Angebot an Hospizplätzen und ambulanter Palliativversorgung. Hier gilt es als ersten Schritt von wissenschaftlicher Seite, einen adäquaten Menschenwürdebegriff zu formulieren, dessen Leistungsfähigkeit nicht nur die Praxis am Lebensende hin zu einem menschenwürdigen Sterben anleiten, sondern auch über die Phase des Lebensendes ausstrahlen kann. Dieser Aufgabe will ich mich inhaltlich widmen.

 

Konkreter ziele ich auf die juristische Verarbeitung der neuesten Menschenwürdekonzeptionen unter Beachtung der empirisch nachgewiesenen Auffächerungen des Konzepts der Selbstverantwortung am Lebensende (Gruppe Altern, Prof. Kruse und Wassmann). Bei der weiteren Konkretisierung trifft eine solche Konzeption einerseits auf eine Normenwelt, die nur in geringem Maße auf das Sterben selbst eingeht, andererseits aber auf eine reiche Praxis von Verwaltungshandhabungen, Standards, Entscheidungen, (ärztlichen) Standesrichtlinien und rechtlich wenig ausgeleuchteten Usancen. Diese Praxis greift weit über die spektakulären Fälle der strafrechtlichen und haftungsrechtlichen Sterbehilfe, des assistierten Suizid, der rechtlichen Einordnung von Hospizen (als Gewerbebetriebe?) oder der Problematik von "Patientenverfügungen" hinaus. Hier eine Systematik zu entwicklen und die Eigenständigkeit und Komplexität der Sterbephase aufzuzeigen wird Vorbedingung sein, um ein Handbuch genau des Sterbens (und nicht des "Lebensendes") und ein begleitendes DFG-Projekt von rechtswissenschaftlicher Warte aus zu konzipieren.

 


Seitenbearbeiter: Geschäftsstelle
Letzte Änderung: 19.06.2008